Prag ist die goldene Stadt. Die hunderttürmige Stadt. Reichshauptstadt und Kaisersitz im 14. Jahrhundert. Zentrum des politischen und kulturellen Lebens im 16. und 17. Jahrhundert. Seit 1992 Weltkulturerbe der UNESCO. Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2000. Die Hauptstadt der tschechischen Republik lockt jährlich 20 Millionen Touristen an. An kaum einem anderen Ort Europas kann Geschichte so hautnah erlebt werden.
Die Visionen der schönen Libussa
Im fruchtbaren Prager Becken haben schon die Menschen der Jungsteinzeit eine Heimat gefunden. Zur Stadtgründung gibt es, wie bei allen berühmten Städten, eine Legende. Im siebten Jahrhundert regierte die schöne und kluge Prinzessin Libussa mit ihrem Mann Pfemysl die tschechischen Lande.
Eines Tages stand Libussa auf einer Klippe, blickte über die Moldau auf den Berg Hradschin und sah eine Stadt, deren Ruhm bis zu den Sternen reicht. Ihre Vision erblickte im Jahr 870 das Licht der historischen Wirklichkeit. In diesem Jahr wurde auf dem Hradschin der Grundstein für das größte geschlossene Burgareal der Welt gelegt: Die Prager Burg, Machtzentrale der böhmischen Regenten für Jahrhunderte.
Prag zieht die Menschen an
Vom sicheren Herrschersitz auf der Prager Burg wurde das Land geeint. Die streitenden Stämme schlossen sich im christlichen Glauben zusammen – ab 973 amtierte Prag als selbstständiges Bistum. Bereits Anfang des 10. Jahrhunderts war auf der anderen Moldauseite eine zweite Burg, der Vysehrad, entstanden. Eine jüdische Gemeinde siedelte sich auf dem Stadtgebiet an und gedieh bis ins 20. Jahrhundert zum größten europäischen Zentrum jüdischen Lebens. Nach dem Anschluss Böhmens ans Deutsche Reich ließen sich im Schutz von Prags Burganlagen viele deutsche und jüdische Kaufleute nieder. Die Stadt blühte auf.
Die goldene Stadt entsteht
Der Aufschwung Prags zu europäischer Bedeutung datiert ins 13. Jahrhundert. Böhmen wird unter Ottokar dem Ersten im Jahr 1212 erbliches Königreich. Die befestigte Prager Altstadt bekommt 1234 das Stadtrecht zugesprochen. Ottokar der Zweite führt das Land und seinen Herrschersitz zu zentraleuropäischer Macht. Geld fließt in goldenen Strömen und lässt in der Stadt Architektur und Künste erblühen.
Das Stadtbild wird von bedeutenden Gebäuden der Gotik und Renaissance geprägt. Die Namen der Herrscher Karl der Vierte und Wenzel der Vierte stehen für die Etablierung Prags als „Goldener Stadt“. Dieser Beiname der Moldaumetropole leitet sich von den vergoldeten Türmen der Prager Burg ab. „Hunderttürmige Stadt“ ist ein anderes Synonym: In Wahrheit sind es sogar rund 500 Türme, die das Stadtbild prägen.
Jan Hus verbrennt auf dem Scheiterhaufen
Auch Prag hat seinen Kirchenreformer, einen Mann, der seine Erneuerungsideen bereits Anfang des 15. Jahrhunderts vortrug und für seinen Glauben in den Tod ging. Mit Jan Hus begann die Hussitenzeit, eine Ära religiöser und sozialer Unruhen. Hus wurde aus der goldenen Stadt verbannt und stellte sich dem Konzil zu Konstanz.
Da er seinen Lehren nicht abschwören wollte, wurde er 1415 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Vier Jahre später erfanden die Prager eine neue Form des politischen Protestes, die Defenstration, besser bekannt unter „Prager Fenstersturz“. Dieser erste Fenstersturz, bei dem die Ratsherren auf der Straße landeten, löste die Hussitenkriege aus, die Mord und Totschlag über die Landbevölkerung brachten.
Multi-Kulti im 16. Jahrhundert
Im 16. Jahrhundert traten die Habsburger die Thronfolge an und hielten sich mit unbedeutenden Unterbrechungen bis 1918. Prag ging durch einige Tiefpunkte und erlebte neuen Glanz. Ein Feuer zerstörte die Gebäude des Hradschin und der Kleinseite.
Der niedergeschlagene Ständeaufstand legte den Bürgern bittere Repressalien auf. 1583 wählte Rudolf der Zweite Prag zur Kaiserresidenz. Er siedelte die vormals vertriebenen Juden auf dem Stadtgebiet an, holte viele Deutsche und andere Nationalitäten an die Moldau. Prag wurde zu einer der ersten multikulturellen Städte Europas. Reichtum floss in die Stadt, das gesellschaftliche und kulturelle Leben blühte.
Ein Fenstersturz und seine Folgen
Das 17. Jahrhundert war das Zeitalter der großen religiösen Auseinandersetzungen. Und Prag stand in deren Zentrum. 1618 warfen Protestanten die königlichen Statthalter zum Fenster hinaus: Der zweite Prager Fenstersturz gilt als Beginn des verheerenden dreißigjährigen Krieges. Die katholischen Habsburger setzten sich 1620 in der Schlacht am Weißen Berg gegen die Protestanten durch – Auslöser einer zwei Jahrhunderte währenden Ära des tschechischen Niedergangs.
Habsburger Toleranz und beginnende Industrialisierung
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts erstarkte das Bürgertum. Das 18. Jahrhundert war ein Zeitalter der politischen Entspannung. Die Habsburger Maria Theresia und Josef der Zweite stellten mit ihrem Toleranzedikt alle religiösen Minderheiten unter Schutz. In der Atmosphäre dieses großzügigen politischen Geistes erholte sich das tschechische Selbstbewusstsein. Die bisher unabhängig gewesenen Prager Städte Hradschin, Kleinseite, Altstadt und Neue Stadt schlossen sich hinter einer gemeinsamen Stadtbefestigung zusammen.
Eine Volkszählung im Jahr 1847 ermittelte 66.000 deutsche und 36.000 tschechische Prager Bürger. Dieses Verhältnis sollte sich mit der Industrialisierung eklatant ändern, denn durch die Landflucht kamen immer mehr bäuerliche Tschechen ins Stadtgebiet. 1861 verloren die Deutschen ihre Mehrheit im Stadtrat.
Die großen Prager Dichter und die Geburt einer kurzlebigen Republik
Das Prag in der Wende zum 20. Jahrhundert war berühmt für seine literarischen Cafés und seine Dichterzirkel. Zwei Schriftsteller, die viele für die größten deutschsprachigen Literaten des 20. Jahrhunderts halten, Rainer Maria Rilke und Franz Kafka, stammten aus Prag. Die Stadt war ein kultureller Knotenpunkt des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn. Aber der erste Weltkrieg läutete das Ende der langen Habsburger Herrschaft ein. Im Jahr 1918 wurde die Tschechische Republik auf der Taufe gehoben.
Wer Gewalt sät, wird Gewalt ernten
Die Tschechische Republik, dieser lang herbeigesehnte Staat mit Prag als Hauptstadt, sollte nur bis März 1939 existieren, als die Deutschen zur „Zerschlagung der Rest-Tschechei“ einmarschierten und Prag zur Kapitale des Protektorats Böhmen und Mähren machten.
Die Deportation der Prager Judenschaft ist eines der traurigsten Kapitel der Stadtgeschichte. Prag erlitt glücklicherweise kaum Beschädigungen durch alliierte Luftangriffe, weil die Bevölkerung fast zu 90 Prozent aus Tschechen bestand und geschont werden sollte. Bei Kriegsende kam es zu exzessiven gewalttätigen Übergriffen gegen deutsche Zivilisten.
Stalin, Dubcek und der „Prager Frühling“
Prag fiel dem sowjetischen Machteinfluss zu und geriet, nachdem die kommunistische Partei 1948 an die Spitze gelangt war, unter massive Unterdrückung. Anfang der 60er Jahre milderte sich das repressive Klima ein wenig – ein symbolischer Ausdruck dafür war die Sprengung des Stalin-Denkmals 1962. Der „Prager Frühling“ steht für die mutigen Versuche Alexander Dubceks und seiner Anhänger, den Sozialismus zu liberalisieren und zu vermenschlichen. Gleichzeitig ruft der „Prager Frühling“ die sowjetischen Panzer ins Bild, die im August 1968 den friedlichen Umsturzversuch brutal stoppten.
Willkommen in der EU!
Gut 20 Jahre später, 1989, befreite sich die Prager Bevölkerung in der „Samtenen Revolution“ von den kommunistischen Machthabern. Alexander Dubcek wurde zum Parlamentspräsidenten gewählt, Vaclav Havel zum Staatspräsidenten. Der Demokratisierungsprozess gipfelte in der Ausrufung der „Tschechoslowakischen Föderativen Republik“ im Jahr 1990. Drei Jahre später teilte sich die Tschechoslowakei in die beiden unabhängigen Republiken Tschechien und Slowakei. Tschechien und seine Hauptstadt Prag sind seit 1999 Mitglied der Nato und seit 2004 EU-Mitglied.
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