Tschechiens Hauptstadt Prag hat es ihrer langen und bewegten Geschichte als Zankapfel zahlreicher Könige zu verdanken, dass sie sich heute eines derartigen kulturellen und historischen Reichtums erfreuen kann. Inmitten der Prager Burg, auf dem Berg Hradschin, befindet sich ein Ort, der nicht nur dem Namen nach den kulturellen Reichtum der böhmischen Metropole widerspiegelt. Gemeint ist das Goldene Gässchen (Zlatá ulicka) an der Innenmauer der Prager Burg, das mit Fug und Recht als die bekannteste Straße Prags bezeichnet werden kann und jährlich viele Touristen an die Moldau zieht.

Goldenes Gässchen

Tor zu einer anderen Welt

Die Gasse mit den windschiefen Häusern ist jedem Kind in Prag ein Begriff, denn die bunten Häuser sind zwar nicht aus Gold, versprühen aber dennoch einen ganz eigenen Charme. Gleich nach dem Betreten des Goldenen Gässchens aus der Georg-Straße (Jirská) eröffnet sich zwischen dem Weißen Turm und dem gotischen Dilaborka-Turm ein märchenhafter Straßenzug, der sich an die Verteidigungsmauer des Nordteils der romanischen und spätgotischen Befestigungsanlage anschmiegt. Das mit historischem Kopfsteinpflaster ausgelegte Gässchen lädt zum gemütlichen Flanieren ein und versetzt Besucher zurück in eine Zeit, in der sich die Prager Schauergeschichten über das Treiben in der engen Gasse erzählten.

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Dem Mythos auf der Spur

Glaubt man dem Mythos, den die Alten in der Stadt noch heute von Generation zu Generation weitergeben, so hat das Goldene Gässchen seinen Namen nicht zufällig erhalten, sondern einem ganz besonderen Umstand aus dem ausgehenden Mittelalter zu verdanken. Denn angeblich beherbergte das Gässchen während der Herrschaft von Rudolf II., der zwischen 1576-1612 auch Kaiser des Heiligen Römischen Reichs war, Alchimisten, die sich dort angeblich auf Geheiß des Regenten mit der Herstellung von Gold aus unedlen Metallen beschäftigten. Dass die zwielichtigen Alchimisten jemals den Stein der Weisen gefunden haben, um mit dessen Hilfe Gold für den Kaiser herzustellen, ist trotz des Namens allerdings nicht belegt. Verbürgt ist einzig, dass ein Alchimist namens Edward Kelly im Weißen Turm der angrenzenden Wehrmauer gefangen gehalten wurde. Nichtsdestotrotz bleibt es aus der Sicht von Historikern beim volkstümlichen Mythos.

Vom Wachquartier zum Zentrum der Goldschmiedekunst

Laut den offiziellen Chroniken Prags geht die Entstehung des Goldenen Gässchens auf das frühe 16. Jahrhundert zurück, wobei die kleinen und zum Teil in die Wehrmauer integrierten Häuser zunächst als Quartiere für die Burgwachen dienten. In Spitzenzeiten lebten dort 24 Männer und wechselten sich tags wie nachts im Wachdienst ab, um die Mauern der Prager Burg zu schützen. Als die königlichen Wachmannschaften auf Geheiß des Königs reduziert und schließlich gänzlich aus den Quartieren abgezogen wurden, standen die Gebäude zunächst leer, bevor diese von einfachen Menschen übernommen wurden. Aufgrund der Tatsache, dass sich unter den neuen Anwohnern viele Goldschmiede befanden, die sich dort ansiedelten und für mehr als 200 Jahre einen festen Platz fanden, trägt das Goldene Gässchen bis heute seinen Namen.

Vom Armenhaus zum intellektuellen Zentrum

Der Glanz der Goldschmiede, die das gelbe Metall dort lange Zeit in Schmuck und Kunstwerke verwandelte, hielt allerdings nicht ewig an. Vielmehr stand das Gässchen ab Mitte des 19. Jahrhunderts für alles andere als Reichtum, denn die heute hergerichteten Hütten waren damals verfallen und beherbergten die Armen der Stadt, die sonst nirgendwo einen Unterschlupf fanden. Bis ins früher 20. Jahrhundert galt das Goldene Gässchen trotz seines Rufs als Armenquartier als stark frequentierter Treffpunkt der intellektuellen Szene Prags. Neben dem späteren Literaturnobelpreisträger Jaroslav Seifert, der dort bis 1929 lebte, zählte auch Franz Kafka zu den namhaften Bewohnern der Gasse. Kafka lebte dort von 1916 bis 1917 und arbeitete im Haus, das noch heute die Nummer 22 trägt an seinen Werken.

Vom Widerstandsnest zur Touristenattraktion

Trotz seiner mitunter weltberühmten Bewohner behielt das Goldene Gässchen bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs seinen Status als Armenquartier und Versammlungsort des Widerstands gegen die Nationalsozialisten. So war es beispielsweise der Amateurfilmhistoriker Josef Kazda, der dort unzählige zeitgenössische Filme vor der Vernichtung durch die Nazis bewahrte. Nach dem Krieg verlor das Gässchen allerdings seine Bedeutung als Wohnquartier und stand einige Jahre leer, bevor es im Jahr 1955 grundlegend restauriert wurde und seine heutige Gestalt als Touristenattraktion erhielt.

Zeitreise in die Welt von Goldschmieden und Alchimisten

Heute beherbergt das Goldene Gässchen eine große Dauerausstellung, die Interessierten einen Einblick in die Lebenswirklichkeit der Menschen gibt, die dort in den vergangenen 500 Jahren lebten. Ein Großteil der mittelalterlichen Häuser ist dabei für Touristen im Zuge der gewöhnlichen Öffnungszeiten des Geländes der Prager Burg zugänglich. Im Rahmen der Zeitreise zu Goldschmieden und Alchimisten lassen sich in den oberen Stockwerken der Gebäude auch Waffen und Rüstungen des Mittelalters bestaunen. In den verbleibenden Häusern, die heute nicht als Ausstellungsfläche genutzt werden, sind Souvenirläden und Cafés untergebracht, die zum entspannten Verweilen einladen.

Genau genommen haben die Prager damit in gewisser Weise doch noch den Stein der Weisen entdeckt, denn durch die Einnahmen aus dem Tourismus glänzt das Goldene Gässchen heute tatsächlich golden. Besichtigt werden kann die Gasse ebenso wie die anderen Sehenswürdigkeit im Inneren der Prager Burg von November bis März zwischen 9:00-16:00 Uhr sowie von April bis Oktober zwischen 9:00-17:00 Uhr.

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