An kaum einem Ort in der Prager Altstadt ist derart oft das charakteristische Klicken von Fotoapparaten und Digitalkameras zu hören, wie an einem ganz bestimmten Ort des Altstädter Rings – dem Altstädter Rathaus. Dabei ist es nicht nur das imposante Gebäude aus dem späten Mittelalter, das die Reaktionen der viele Besucher auslöst, sondern auch die weltberühmte astronomische Uhr an der Südfassade des Bauwerks. Bevor das Altstädter Rathaus allerdings zum Touristenmagneten avancierte, durchlief es eine wandlungsvolle Geschichte, deren Narben noch heute gut zu sehen sind.
Entstehung eines ungewöhnlichen Gebäudes
Der Grundstein für die Entstehung des gotischen Bauwerks wurde im Jahr 1338 gelegt, als der damalige König Johann von Böhmen, der gleichzeitig amtierender Regent von Luxemburg war, den Bürgern Prags gestattete, ein eigenes Rathaus zum Zweck der Selbstverwaltung zu errichten. Im Gegensatz zu anderen Bauvorhaben, die mit Geldern der Krone oder des Klerus realisiert wurden, finanzierte die Prager Bürgerschaft den Neubau einzig aus der Weinsteuer, welche der Stadt zu einem bescheidenen Wohlstand verholfen hatte. Beim Altstädter Rathaus handelt es sich vor allem im Vergleich mit ähnlichen Gebäuden der Zeit um ein besonders ungewöhnliches Bauwerk, da es nicht in einem Stück geplant und konstruiert wurde, sondern durch die modulare Erweiterung von Anbauten geprägt ist. Die daraus resultierenden architektonischen Spuren sind auch heute noch unübersehbar.
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Das Altstädter Rathaus wird zum Unikat
Im Jahr 1364 wurde schließlich der markante Rathausturm fertiggestellt, der zu seiner Zeit mit einer Höhe von 69,5 Metern das mit Abstand höchste Gebäude Prags war. Am Bau des Altstädter Rathauses, das sich in architektonischer Hinsicht unter anderem durch die mit Kriechblumen bekrönten Ziergiebel sowie die Säulenfiguren unter den Baldachinen kennzeichnet, war auch der Dombaumeister Peter Parler beteiligt, der zeitgleich am St.-Veits-Dom auf dem Prager Burgberg arbeitete. Von Parler stammt auch die angebaute Marienkapelle, die mit einem für die zeitgenössische Sakralarchitektur eher unüblichen Erker mit 5/8-Schuss ausgestattet ist. Über die Jahrhunderte hinweg blieben sich die Bürger Prags treu und setzten auf die stetige modulare Erweiterung des Altstädter Rathauses im jeweiligen Stil der Zeit.
Narben der Geschichte
Im Laufe seiner Existenz erlebte der gotische Bau jedoch auch immer wieder dunkle Zeiten wie den Dreißigjährigen Krieg. Nach der Schlacht am Weißen Berg im November 1620 wurden auf dem Rathausplatz 27 Widerstandskämpfer, die sich gegen die Katholische Liga, der auch Prag angehörte, gerichtet hatten, öffentlich hingerichtet. Am Fuße des Rathausturmes erinnern noch heute 27 in das Pflaster eingelassene weiße Kreuze an die Bluttat vom 21.06.1621. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs war es schlussendlich die Prager Bevölkerung, die ihrerseits Widerstand gegen die deutschen Besatzer leistete. Im Zuge des Prager Aufstands, der über 3.000 Todesopfer forderte, wurde das Altstädter Rathaus sogar so stark beschädigt, dass der neogotische Anbau aus dem 19. Jahrhundert abgerissen werden musste. Heute mahnt an exakt dieser Position eine Gedenkstätte, die den Gefallenen und Verwundeten des Aufstandes gewidmet ist und an den Frieden appelliert.
Unverwüstlich seit 600 Jahren
Während die Dramen, die sich am Fuße des Rathausturmes abspielten, weniger bekannt sind, ist es vor allem die astronomische Uhr, die das Altstädter Rathaus weltberühmt gemacht hat. Die Uhr, die auch Aposteluhr genannt wird, stammt aus Jahr 1410, als sie vom Uhrmacher Mikulás z Kadane auf Basis der Pläne des Astronomen Jan Schindel konstruiert wurde. Allerdings erhielt die astronomische Uhr erst im Jahr 1490 ihre heutige Funktionalität, indem die Uhrmacher Jan Ruze und Jakub Cech das astronomische Ziffernblatt um einen Kalender ergänzten. Als Aposteluhr bezeichnet man die Uhr offiziell erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts, auch wenn Historiker vermuten, dass die Apostelfiguren bereits im 17. oder 18. Jahrhundert angebracht worden sind. Ab gesehen von der Ergänzung elektrischer Aufzüge ist die Uhr damit seit nunmehr über 600 Jahren kaum verändert in Betrieb.
Was die Aposteluhr einzigartig macht
Das Besondere an der astronomischen Uhr ist nicht nur ihr Alter oder anhaltende Funktionstüchtigkeit, sondern viel mehr, dass an ihr gleich vier Zeitarten ablesbar sind. Während der Sonnenuhrzeiger anhand der römischen Zahlen am Spährenumkreis die Mitteleuropäische Zeit anzeigt, gibt sie mit Hilfe der gotischen Zahlen außerhalb der Sphäre gleichzeitig auch die altböhmische Zeit an. Zu einem wahren Unikat wird die Aposteluhr aber erst durch die Tatsache, dass sie die weltweit einzige Uhr ist, die dazu in der Lage ist, die altbabylonische Zeit anzuzeigen. Kennzeichnend für diese antike Form der Zeitmessung ist eine ungleiche Bemessung der Stunden anhand von Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, sodass die Stunden im Sommer länger und im Winter kürzer sind. Komplettiert wird das chronologische Quartett durch die Sternzeit.
Die Legende des hintergangenen Meister Hanus
Die Prager haben einen ausgesprochenen Hang zu Mythen, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass sich auch um die Aposteluhr zahlreiche Legenden ranken. Die wohl bekannteste Überlieferung berichtet vom Schicksal des Meisters Hanus, der gegenüber den Ratsherren von Prag versichern musste, nie wieder eine solch perfekte Uhr für zu konstruieren. Trotz seines Versprechens trieb die Eifersucht der Ratsherren sie dazu, Meister Hanus mit glühenden Eisen zu blenden, auf dass er tatsächlich nie wieder ein Meisterwerk wie die Aposteluhr schaffen könne. Der schwerverletzte Greis ließt sich daraufhin von einem Getreuen zu seinem Werk führen und sabotierte das Uhrwerk. Da Meister Hanus kurz nach seiner erfolgten Rache verstarb, dauerte es laut der völkischen Legende einhundert Jahre, bis die Prager Rathausuhr repariert werden konnte.
Glücklicherweise scheint es in der Vergangenheit aber tatsächlich einige begabte Uhrmachermeister gegeben zu haben, die die Vergeltung des hintergangenen Konstrukteurs langfristig abwenden konnten. Damit bietet sich den vielen Besuchern Prags nach wie vor zu jeder vollen Stunde das faszinierende Bild des mechanischen Schauspiels der Aposteluhr an der Südfassade des Altstädter Rathauses.
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